Donnerstag, 18. April 2013

Blümchensex

Diese Gurke ist deutsch. Sie hat es eilig. Draußen ist schlimmstes Aprilwetter, keine einzige Biene unterwegs, aber Klein-Gürkchen meint sie müsse jetzt blühen. 


Da muss Mutti dann halt mit dem Pinsel ran.

Ja, diese Gurke ist deutsch. Und ich befürchte sie wird es schwer haben in Schweden. So wie ich.
Ich habe mich bisher nicht für "typisch deutsch" gehalten, was immer das auch ist. Aber vielleicht bin ich doch mehr geprägt von meinem Geburtsland als ich dachte. Schweden und Deutschland unterscheiden sich ja nun nicht gar so sehr voneinander. Das Wetter ist solala, die Menschen sitzen in der Straßenbahn nicht gern nebeneinander und die Bürokratie treibt in beiden Ländern teils seltsame Blüten. Die Schweden sind ein bisschen verrückter danach Schlange zu stehen, die haben das quasi perfektioniert. Dafür sagt man den Deutschen ja gern nach, dass sie immer pünktlich sind. Das trifft für mich nicht ganz so zu, ich halte mich eher ans akademische Viertel, aber wenn ein Deutscher sagt "in 5 Minuten", dann heißt es auch genau das. 

Nun bin ich sehr daran gewöhnt meinen ganzen Tag effektiv zu gestalten. Einmal weil ich nicht mehr so viel Zeit für mich selbst hab und viele Sachen nebenbei erledigen muss, also schnell Einkaufen auf dem Weg von der Schule in den Kindergarten oder verschiedene Besorgungen zusammenlegen, damit man dafür nicht durch die halbe Stadt rennen muss. Außerdem weiß ich wie es in deutschen Betrieben und Unternehmen so zugeht, unter welchen Arbeitsbedingungen man dort arbeitet. Mein Denken ist darauf ausgerichtet effektiv, schnell und günstig zu arbeiten, Arbeitsabläufe zu optimieren und Geld zu sparen. Das ist in mir drin, da kann ich gar nichts gegen tun. Ob das nun der Supermarkt war, in dem ich während meiner Schulzeit Regale eingeräumt habe oder die Buchbinderei, in der es meistens nur darum ging immer schneller und billiger zu produzieren. Das hat man mir so eingetrichtert. Wenn ich die Leute hier in der Unibibliotheksbuchbinderei so arbeiten sehe, frage ich mich manchmal ernsthaft wie die schwedische Wirtschaft aufrecht gehalten wird. Die sind sicherlich viel glücklicher und zufriedener mit ihrem Arbeitsklima, da geht es nicht darum jemanden raus zu mobben, um selbst besser da zu stehen. Die sind auch weniger oft krank. 

Nur manchmal... Als ich am 23.12. letztes Jahr im Supermarkt war, stand die Menschenschlange bis zur Mitte des Ladens. Ich weiß wie meine Schwester, die in Deutschland bei nem Discounter an der Kasse sitzt, an diesen Tagen arbeitet (arbeiten muss), damit die Kunden nicht ne halbe Stunde an der Kasse stehen. Die schwedische Kassiererin arbeitet, als hätte sie schon Urlaub. Aber niemanden regt das auf! Alle stehen artig 20 Minuten in Reih und Glied und warten. Nur ich werd fast wahnsinnig. 
Oder gestern. Da wollte ich schnell vor der Schule in den Hobbyladen, um ein Stück gemusterten Stoff (passend zum Brautkleid) zu kaufen und einen Stempel zu bestellen. Die Dame hat ungelogen 25 Minuten gebraucht, um das auf die Reihe zu kriegen und ich hab meine Bahn verpasst. Die hat angefangen zu schnacken, mich über meine Bastelprojekte auszufragen, im Katalog zu blättern, mir Angebote für andere Dekosachen für die Hochzeit zu machen etc. Während ich da - offensichtlich - sehr ungeduldig rumstand. Was hat mich das aufgeregt. 
Und so ist das hier ständig. Die Leute haben eine Zeit! Was das hier jedesmal dauert, wenn Leute aus der Bahn aussteigen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es erst mal einen kleinen Plausch mit dem Fahrer gibt, bevor es weitergehen kann. Natürlich kann man die Anschlussbahn dann vergessen. Die Leute sind hier so entspannt. Nur ich pass da nicht rein. Muss wohl ganz tief verankert sein in der schwedischen Kultur. Frag mal nen Schweden nach 'lagom'... Der wird Spaß haben es dir zu erläutern. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mal schauen, ob das nach einiger Zeit auf mich abfärbt. Ich bin da eher skeptisch, obwohl ichs schon schön fänd. Entspannt ist ja eigentlich besser für Herz... Bis dahin versuch ich mich beim Blümchensex zu entspannen. Gärtnern soll ja auch was Meditatives haben.

2 Kommentare:

  1. Obwohl ich sonst eher ruhig hier zuschaue, muss ich dir recht geben.

    Ich bin vor 2 Jahren nach Wien gezogen, da könnte man sich denken, halb so schlimm, fast Deutschland. Und nachdem ich auch noch aus Bayern komme, quasi Inland ;)

    Aber Pustekuchen. Die meisten Menschen sind, denke ich, stark von der Mentalität ihrer Heimat geprägt, genau wie du es bei dir beschreibst. Und am Anfang hat es mich wahnsinnig gemacht. Einerseits dieses... Chill moi, oida!, andererseits kommt hier nach drei Minuten anstehen "Zweite Kassa, bitte!" Lang gezogen, schön wienerisch "sudernd".

    Zu deiner Beruhigung: 2 Jahre später ist es leichter. Ich komme damit klar, nicht immer, aber immer öfter ;)

    Klar ist Wien nicht Schweden, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Irgendwann wird dir sicher die schwedische Mentalität zur Gewohnheit =)

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  2. Kann mich AutumnSky nur anschliessen. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die für viele zu schnell sprechen und denen beim Arbeiten gesagt wird, dass nach Stunden und nicht nach Kilometern gezahlt wird.
    Und dann zog ich nach Bern. Man macht ja gerne Witze über Schweizer, dass sie langsam wären. Nun, Schweizer machen Witze über die Berner, weil die noch langsamer sind. Mit welcher Gelassenheit und Ruhe man hier einem Weihnachtsansturm an der Kasse oder dem Feierabendverkehr in der Bahn begegnet, sagenhaft. Und irgendwann (so jetzt nach fast drei Jahren) erwischt man sich selber dabei, dass man gar nicht mehr denkt, man habe einen Zug verpasst, sondern nur müde im Hinterkopf ausrechnet, wann man dann doch gehen sollte, um den nächsten zu bekommen (den man dann gerne auch verpasst).
    Und auch wenn das sicher auch Nachteile hat und mich trotzdem noch oft genug zur Verzweifelung bringt, man lernt mit der Zeit auch die Vorteile schätzen, die so eine andere Mentalität und vor allem ein entspannterer Umgang mit Zeit haben können.

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